Page 93 - Gespräche mit Gott über Geld
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500.000. Fünfhunderttausend, die nicht als Löhne ausbezahlt werden
           können. 500.000, mit denen keine Lieferantenrechnungen beglichen
           werden können. Fünfhunderttausend, die fehlen, wenn Oma Krause
           einen elektrischen Rollstuhl braucht. 500.000, die fehlen, um ein Loch
           im Dach zu reparieren. Oder auch, wenn es nur darum geht, den
           Rosengarten zu verschönern.

            Dieser zwangsläufige und bedingungslose Abfluss des Geldes – hinein
           in die Portemonnaies der Investoren und Portefeuilles der Spekulanten
           – stellt den Unterschied zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus
           dar. Und weil es nicht nur den Zins gibt, sondern auch den Zinseszins,
           müssen  im  darauf  folgenden Jahr  schon 550.000 abgezweigt  und
           abgeführt werden. Mit der Zeit wird die Suppe daher immer dünner,
           die Wände werden immer schäbiger, das Personal immer rarer, die
           Decken immer dünner und die Rollstühle immer klappriger. Und so geht
           es jedem Unternehmen im Kapitalismus, ausgenommen den großen
           Monopolen wie der Energiewirtschaft oder der Rüstungsindustrie.
            MAN könnte sagen, die Geldordnung ist nicht ganz dicht. Es fließt Geld
           aus einer Unternehmung ab, ohne dass es einen weiteren Nutzen für die
           Unternehmung bringt. Nutzen bringt dies nur für den Kapitalbesitzer,
           dessen Kapital auf diese Weise so vermehrt wird, dass er noch mehr
           Geld aus anderen Unternehmungen ziehen kann, um damit noch mehr
           Geld aus Unternehmungen ziehen zu können, um noch mehr Kapital
           aus weiteren Unternehmungen zu ziehen. Und so weiter, und so weiter.
            Richtig. In diesem Spiel spielen die meisten von uns eine Mischung
           aus Sisyphos und Prometheus. Denn wenn die Zinsen am Ende des
           Jahres erbracht sind, fängt die Tortur wieder von vorne an. Daraus gibt
           es kein Entrinnen, da von der Grundschuld noch kein Cent getilgt ist.
           So bleibt der arbeitende Mensch ein ewig Angeketteter, der bei leben-
           digem Leibe häppchenweise verspeist wird. Dabei nützt es uns nichts,
           auf Herakles zu warten. Denn der war schon da und hat uns bereits
           aus der direkten und unmittelbaren Leibeigenschaft befreit. Das Zins-



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