Page 12 - Der Prophet und das Geld
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Vom Zins
Ihr seid geteilt in zwei Lager. Im einen Lager beklagt man den Zins als
Dieb und als Mörder. Der Kampf gegen dies Übel hat schon viele Leben
gefordert. Im anderen Lager erkennt man in ihm einen Genossen des
Fortschritts und der Entwicklung. Auch wenn in seinem Schlund viele
verschwinden, so halten sie dennoch fest an diesem Gefährten. Und
wahrhaft gefährlich ist seine Erscheinung.
Doch er ist eine Erscheinung und das wollt ihr nicht erkennen. Jene,
denen seine Segnungen in den Schoß mit gefalteten Händen fließen,
haben ihn nicht mit Verschlagenheit und Bösartigkeit in ihre Richtung
geleitet. Und jene, denen er zuerst die Butter vom Brot und danach das
Brot selbst nimmt, tragen keine persönliche Schuld an ihrem Verlust. Ihr
starrt auf den Zins und wünscht euch insgeheim, ihn zu erlangen und ihr
betrachtet mit schmalen Lippen und neidischen Augen die Bevorrechte-
ten. Diese aber blicken mit Verachtung auf die Armen, aus deren Adern
ihnen zufließt was als Zins Gestalt annimmt. Und so nehmt ihr als ein
Faktum und eine Notwendigkeit, was doch nur eine Erscheinung ist.
Kein starker Arm und kein verschlagener Geist erzeugen den Zins. Kein
Erlass kann ihn dauerhaft fördern oder verbieten. Denn er ist eine
Chimäre. Ein Gespenst, das direkt euren Geldtruhen entfleucht und dort
auf ewig neu geboren wird. Dort liegt die Quelle des Zinses, sichtbar vor
euren Augen und ihr wollt sie nicht erkennen. Es ist euer Geld, das so
viel besser ist, als alles Geschaffene und besser als das, was das
Geschaffene schafft.
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