Traum oder Albtraum?

von tomtok

Mai 21, 2020

Arbeitsteilung, sparen, Spiegel online, Tauschmittel, Überschüsse, Volkswirtschaft, Währungskrise, Wohlstand

„Spar dich reich: Corsa statt Cayenne, Mallorca statt Mauritius - wer sich den Traum vom Wohlstand erfüllen will, muss sparen. Experten raten zur Binsenwahrheit von Autopatriarch Piëch: Reiche sind dadurch reich, dass sie weniger ausgeben.“ So verbreitet es Spiegel-Online. Und nicht nur die. Denn wer kennt diese Binsenweisheit nicht und wer hat nicht schon mindestens einmal im Leben ein schlechtes Gewissen gehabt, weil er „zuviel“ Geld ausgegeben hat? Kaum ein Mensch, dem dies nicht von den Eltern oder Großeltern gelehrt wurde. Und wer deren Ratschläge in den Wind geschlagen hat, der wurde spätestens von der Realität eines Besseren belehrt und trauert irgendwann finanziellen Übermütigkeiten nach.

Simpler kann es ja nicht mehr sein: wer mehr Geld einnimmt, als er ausgibt, der hat immer Geld. Selbst wenn man es nur zu Hause in die Geldkasette legt. Wer dann noch so klug ist und den Überschuss zur Bank bringt, der kann je nach Anlageart sein Erspartes noch ordentlich vermehren. Durch Verzinsung von Sparguthaben oder durch Börsengewinne. Selbstverständlich kann man sein Geld auch verlieren, insbesondere dann, wenn man sein Geld risikoreich anlegt – gelockt von hohen Zinsen. Soweit reicht unser aller Wissen vom Geld und von den Finanzen und bestätigt wird unser Wissen nicht nur von der Wirtschaftsredaktion des Spiegels, sondern von jedem handgeschriebenen Plakat der Postbank, auf dem 3,4 und 5% Prozent Zinsen auf Spareinlagen garantiert werden. Und Herr Piëch – mit einem umgedrehten Doppelpunkt auf dem e – kann es auch bestätigen und jedem nur raten, auch so zu verfahren.

Stop. An dieser Stelle sollten wir innehalten und unser Wissen einer tiefergehenden Überprüfung unterziehen. Haben Josef Ackermann, Ferdinand Piëch, Peer Steinbrück, die Hypo Real Estate, die Wirtschaftsredaktion vom Spiegel, Ben Bernanke und die Pressestelle vom Kanzleramt wirklich Recht? Sollte es dann nicht weniger schlimm zugehen in der Wirtschaft oder zumindest schon lange wieder besser werden? Könnte es nicht sein, dass sie alle Unrecht haben, obwohl einige von ihnen für sich genommen im Zweifelsfall reicher als so manches afrikanische Volk insgesamt sind? Könnte es sein, dass sie sich alle gewaltig im Irrtum befinden, auch wenn Millionen und sogar Milliarden Menschen ihnen die Grütze abkaufen und auch nichts Besseres wissen? Könnte es sein, dass sie alle Scharlatane und ökonomische Quacksalber sind, obwohl der Rest der Bevölkerung nicht anders kann als nach ihren verpfuschten Regeln zu handeln?

Wir meinen ja, und wir wissen, dass dies eine schwere Anklage darstellt. Hätten wir keine hieb- und stichfesten Beweise in Form von kristallinem Wissen in der Anklageschrift, dann würden wir diese Anklage nicht führen. Und es kommt uns weniger auf die Anklage an, als auf die Einsicht und den Wissenszuwachs aller Beteiligten. Also aller Wirtschaftsteil-nehmerInnen, ob arm oder reich. Die armen oder schlechtverdienenden unter uns können nicht mit Ackermann und Piëch in Sachen Vermögenszuwächse konkurrieren. Doch im Bereich der Wissenszuwächse sehr wohl. Erwiesenermaßen sind in diesem Bereich die Defizite der genannten Herren und Institutionen so groß, dass 95% von uns inzwischen auf einem riesigen Berg von Schulden sitzen, ob wir nun brav nach den Regeln des Herrn Piëch gelebt haben, oder nicht. Nicht zu vergessen die Währungskrisen Inflation und Deflation, die selbst vor dem reichsten Mann der Welt nicht halt machen werden. Mögen die reichsten Leute in der Vergangenheit immer wieder in genau solchen Zeiten ihre Vermögen vervielfacht haben, dieses Mal wird es anders werden. Denn dieses Mal ist der Grad der internationalen Arbeitsteilung höher als jemals zuvor. Niemals haben mehr Menschen den Planeten bevölkert und niemals waren mehr Menschen in ihrer Ernährung von eine funktionierenden Technik abhängig und von High-Tech in der Kommunikation und im Verkehrswesen. Bricht dieses Mal die Arbeitsteilung zustande, dann werden auch Ackermann & Co erleben, was es heißt, im Rentenalter noch auf die globale Barbarei zuzuschliddern.

Die Wirklichkeit gibt uns Recht. Leider eben gerade nur die dramatischen Seiten der Wirklichkeit.

Wo liegt nun der Fehler in der Binsenwahrheit? Welche Wahrheit soll nun verborgen bleiben? Der Sage nach wuchsen König Midas – bekannt für seine Gier und Dummheit – Eselsohren, die er unter seinen Haaren verbarg. Seinem Barbier verbat er, dies zu verbreiten. Der jedoch konnte das Geheimnis nicht für sich behalten und rief es in ein Erdloch. Die Binsen (Gräser) aber, die um das Erdloch herum wuchsen, flüsterten es weiter, bis alle Binsen davon sprachen und alle Welt es wusste – es war zur „Binsenwahrheit“ geworden. „Spar dich reich“ zeugt von der gleichen eselshaften Dummheit wie der Wunsch König Midas, alles, was er anfasse, solle sich in Gold verwandeln.

„Spar dich reich“ zeugt von einer rücksichtslosen und zugleich asozialen Gesinnung, denn wer spart – und vornehm unter seinen Möglichkeiten lebt, um immer reicher zu werden – der entzieht der Gemeinschaft, der Volkswirtschaft, das Tauschmittel. Wie das Sparen zu sein hat, damit es die Tauschmittelfunktion des Geldes nicht behindert, lesen Sie in poetischer Sprache hier oder etwas prosaischer hier. Zu allen Zeiten war ein funktionierendes Tauschmittel die Bedingung für eine florierende und sich entwickelnde Wirtschaft. Eine Wirtschaft, die den Wohlstand der Allgemeinheit gehoben hat und atemberaubende technische und kulturelle Fortschritte ermöglicht hat. Sobald das Tauschmittel versagte und sich immer weniger dem Markt zur Verfügung stellte, begannen der allgemeine Verfall und der rasante Ruin ganzer Kulturvölker. Was die Aquädukte Roms binnen weniger Jahre in sinnlose Steinhaufen verwandelt hat, wird auch Piëchs VW-World in einen Haufen von Rostlauben verwandeln.

Wem will Ferdinand Piëch denn noch VW’s und Porsche’s verkaufen, wenn immer weniger Menschen über die notwendige Kaufkraft – sprich Geld – oder über ausreichende Kreditwürdigkeit verfügen, um die Bestellung aufgeben zu können? Vom wem sollen die 25% Rendite, die Josef Ackermann seinen Anlegern verspricht, noch erbracht werden, wenn immer mehr Menschen arbeitslos werden und immer mehr Produktionen zurückgefahren werden? Sind 1 und 1 nicht mehr 2?

Wir behaupten nicht, dass Herr Piech etwas anders tun könnte, oder sich im kapitalistischen System unlogisch verhält. Ganz im Gegenteil. Dennoch sägt er den eigenen Ast ab, auf dem er sitzt, wenn er ein Wirtschaftssystem, das 95% der Menschheit in Lumpenpack verwandelt, unterstützt und unwidersprochen stehen lässt. Wir sprechen Herrn Ackermann auch nicht seinen Erfolg ab. Doch wie lange kann ein Individuum erfolgreich bleiben, wenn um in herum die Welt in Not und Elend versinkt? Wir alle sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen, wenn wir den Nonsens aus den Wirtschaftsredaktionen glauben. Wir alle werden unseren Erfolg einbüßen, wenn wir nicht dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen aufhören, gegen die gesamte Menschheit zu arbeiten.

Sollen uns unsere Sparbücher weiterhin Gier, Geiz und asoziales Verhalten lehren und unsere Gebetsbücher Gier, Geiz und asoziales Verhalten verteufeln? Hat zwischen den beiden Büchern nicht noch ein drittes Buch Platz, das all das Wissen enthält, wie der Faktor Geld in der Wirtschaft gestaltet und verwaltet werden muss, um vernünftig und dem Leben dienlich zu funktionieren? Wir meinen ja und das Buch ist auch schon geschrieben und es heißt „Die natürliche Wirtschaftsordnung“ von Silvio Gesell. Das Buch wurde schon vor beinahe 100 Jahren geschrieben und fordert daher beim Lesen und Verstehen schon etwas heraus. Zumal die dort enthaltenen Erkenntnisse zum Teil vollständig im Widerspruch zu unserer „ökonomischen Schulweisheit“ stehen. Dafür sind sie aber das Mittel der Wahl, um unsere Welt wieder in Ordnung zu bringen. Das Wirtschaften auf ein taugliches Fundament zu stellen. Kulturelle und technische Weiterentwicklung zu ermöglichen und eine friedliche Welt für alle an den Start zu bekommen. Das ist der Traum, den die Welt von sich träumt. Wohlstand der dadurch zustande kommt, dass man den anderen vorenthält, was sie zum Leben brauchen – sich also reich spart – nimmt sich hingegen wie ein Albtraum aus und hat sich schon lange zu einem solchen entwickelt. Hoffentlich wachen auch bald Menschen wie Ferdinand Piëch und Josef Ackermann auf. Sie könnten so noch einen großen Beitrag zum menschlichen Fortbestand leisten. Darauf verlassen sollten wir uns allerdings nicht und jetzt beginnen, uns selbst um unsere ureigensten Interessen wie ein funktionierendes Geld zu kümmern.

(Erstveröffentlichung am 10. August 2009)



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